Der Anblick ist beeindruckend. Eingetaucht in das Licht der Scheinwerfer sind die beiden gewaltigen Friese des ehemaligen Zeustempels sogleich nach Betreten des Museums von Olympia zu sehen. Während der elegante Fries des Ostgiebels das Wagenrennen des Pelops gegen Oinomaose zum Thema hat und einen ruhigen beinahe statischen Eindruck vermittelt, tobt im Fries des Westgibels eine Schlacht zwischen Menschen und Kentauren. Lebendig und dynamisch folgt die Kampfszene der Form des Tympanons in einer Perfektion, die man bei anderen Bauwerken vergeblich sucht (Bsp.: Aphaiatempel, Arte Italiana, 196). Während zahlreiche Museumsbesucher gebannt auf das Schlachtengetümmel an der Wand starren, stellt sich dem Betrachter bald die Frage nach den Hintergründen dieser Schlacht.

Kentauromachie

Kentaurenkampf

Mythischer Kampf Lapithen vs. Kentauren

Symbol des Kampfes zwischen Mensch und Tier bzw. abstrahiert zwischen Intellekt und Triebhaftigkeit.

Eurytion

Anführer der Kentauren

Bedeutung des Wortes Eurytion

Eurytion: „Fine-Flowing“ bzw.
Eurytos „Fine Drinking-Horn“
(Theoi, Eurytion)

Olympia

Aussprache

Korrekte Aussprache des Wortes Olympia

Meist wird der Ort Olympia falsch ausgeprochen.
Die Betonung liegt auf dem „i“.

Die Hochzeit

Lange rauschte das Fest in ungestörter Fröhlichkeit. Da begann vom vielen Genusse des Weines das Herz des wildesten unter den Kentauren, Eurytion, zu rasen, und der Anblick der schönen Jungfrau Hippodamia verführte ihn zu dem tollen Gedanken, dem Bräutigam seine Braut zu rauben. Niemand wußte, wie es gekommen war, niemand hatte den Beginn der unsinnigen That bemerkt, aber auf einmal sahen die Gäste den wüthenden Eurytion, wie er die sich sträubende und hülferufende Hippodamia an den Haaren gewaltsam auf dem Boden schleifte.

(Schwab, Sagen, 223)

Beißergruppe

Kentauromachie – der Kampf gegen die Kentauren – die „Beißergruppe“

So beginnt die Geschichte des Kampfes der Lapithen gegen die Kentauren bei Gustav Schwab. Schwab schuf mit seinen „Sagen des klassischen Alterthums“ in den Jahren 1837-1840 ein Standardwerk der deutschen Literatur. Seine einfache und spannende Erzählweise, die meist nah am Originaltext lag, brachte die Sagen und Mythen der Antike der Jugend des 19. Jahrhunderts näher. Schwabs Erzählung orientierte sich an Ovids „Metamorphosen“, das Thema des Kentaurenkampfes wurde aber von vielen antiken Schrifstellern – von Homer bis Pausanias (Pausanias, 5.10.8) – behandelt.

Ausgangspunkt des Dramas ist in allen Versionen die Hochzeit zwischen dem griechischen Helden Peirithoos und der thessalischen Fürstentochter Hippodameia, aus dem mythischen Geschlecht der Lapithen. Peirithoos lud zur Hochzeit nicht nur seinen Freund Theseus sondern auch seine entfernten Verwandten, die Kentauren, ein. Die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Peirithoos und den Mischwesen aus Mensch und Pferd waren gelinde gesagt etwas „speziell“: Der Überlieferung nach entstammte dieses Volk aus einer etwas skurrilen Verbindung zwischen einer Wolke der Hera (Nephele) und Ixion, dem Vater des Peirithoos. Hera war von Ixion bei einem Fest der Götter belästigt worden und um ihre Ruhe zu haben, sandte sie Ixion eine Wolke mit ihrem Bildnis, welche von ihm „umarmt“ wurde (Schwab, Sagen, 221-223).

Der Hochzeitscrasher „Fine Drinking-Horn“ Eurytion

Apollon, Peirithoos, Eurytion und Hippodameia

Von rechts nach links Apollon, Peirithoos, Eurytion und Hippodameia

Obwohl sich Lapithen und Kentauren in der Vergangenheit gegenseitig bekriegten, beginnt das Fest zunächst friedlich. Doch mit Fortdauer der Hochzeit verlieren die Kentauren durch exzessiven Alkoholgenuss ihre Selbstkontrolle. So dient die Geschichte in Homers Odyssee auch eher als Warnung vor dem übermäßigen Konsum des Weines. Weniger vornehm als bei Gustav Schwab wird hier eine (versuchte) Vergewaltigung der Hippodameia durch den Anführer der Kentauren Eurytion angedeutet:

Wahrlich, der süße Wein betört dich, welcher auch andern
Schadet, wenn man ihn gierig verschlingt, nicht mäßig genießet:

Selbst der berühmte Kentaur Eurytion tobte vor Unsinn,
Von dem Weine berauscht, in des edlen Peirithoos‘ Hause,
Denn er kam auf das Fest der Lapithen; aber vom Weine
Rasend, begann er im Hause Peirithoos‘ schändliche Greuel.
Zürnend sprangen die Helden empor, und über den Vorsaal

Schleppten sie ihn hinaus, und schnitten mit grausamem Erze
Nas‘ und Ohren ihm ab; und so in voller Betäubung
Wankte der Trunkenbold heim, und trug die Strafe des Unsinns.
Hierauf folgte der blutige Krieg der Kentauren und Männer;
Aber vor allen traf das Verderben den Säufer des Weines.

(Homer, Odyssee, 21)

In Ovids Metamorphosen entfaltet sich der Kampf bereits direkt auf dem Hochzeitsfest. Theseus, einer der größten Helden der griechischen Mythologie, stellt Eurytion (Eurytion: „Fine-Flowing“ bzw. Eurytos „Fine Drinking-Horn“, nach Theoi, Eurytion) nach dessen frevelhafter Tat zur Rede, woraufhin ihm dieser einen Schlag versetzt. Theseus gerät darüber so in Rage, dass er Eurytion den Schädel mit einem Krug zerschmettert:

Dem strömt klumpiges Blut und Gehirn und Wein aus der Wunde
Wie aus dem Mund, und er zappelt, gestreckt im befeuchteten Sande.
Grimm ist entfacht vom Morde des Bruders den Doppelgeschöpfen:
„Auf, zu den Waffen!“, ertönt einstimmiger Ruf. „Zu den Waffen!“

(Ovid, Metamorphosen, 12. Buch, 235)

Die Hochzeitsfeier ist nun erstmals ruiniert und ein allgemeines Morden beginnt, welches Ovid in allen Details beschreibt. Blut spritzt und Knochen brechen, es ist ein Gemetzel sondergleichen:

Und traf Keladons Stirn des Lapithen,und in dem entstellten
Antlitz ließ er gewirrt ineinander die Knochen. Die Augen
Quollen heraus, und durch die zerschmetterten Knochen des Mundes
Wurde die Nase gequetscht und haftete mitten im Gaumen.

(Ovid, Metamorphosen, 12. Buch, 250)

 Kaineus, der etwas andere Held

Lapithin

Lapithin im Griff eines Kentauren

Ein Mann tut sich im Kampf besonders hervor – Kaineus. Kaineus war ursprünglich „Kainis“, die wunderschöne Tochter des Lapithenfürsten Elatos. Eines Nachts am Strand soll sich Poseidon an ihr vergangen haben, woraufhin Kainis, die eine solche Schmach nie wieder erleben wollte, Poseidon bat, sie in einen Mann zu verwandeln (Ovid, Metamorphosen, 12. Buch, 195).

So wird aus Kainis Kaineus, ein Krieger in den Reihen der Lapithen, der in der Schlacht zum Helden wird. Anfänglich noch von den Kentauren verlacht…

„Was will Kainis allhier? Denn du bleibst immer ein Weib mir, Du bist Kainis für mich…
Den Rocken nimm in die Hand und den Korb und dreh‘ mit dem Daumen den Faden; Krieg lass Männern allein!“

…tötet er einen nach dem anderen, während gegnerische Waffen an ihm abprallen. Unter den Kentauren macht sich langsam Verzweiflung breit:

Allen und stets unblutig verbleibt der elatische Kaineus.
Höchlich erstaunt bei dem Wunder die Schar.
„Ha, Schmach und Beschimpfung!“, Ruft jetzt Monychos aus.
„Uns viele besieget der eine,  Kaum ein Mann!“

(Ovid, Metamorphosen, 12. Buch, 495)

Nach langem Kampf wird der unbesiegbare Kaineus von den Kentauren unter Baumstämmen begraben. Zahlreiche bedeutende Krieger auf beiden Seiten sterben im Laufe des Kampfes, in welchem letztendlich die Lapithen die Oberhand behalten.

Kentauromachie – Interpretationen

Kentaurenkampf

Apollon, Theseus und Kentauren

Im Fries des Zeustempels von Olympia ist der Ausgang des Gemetzels bereits klar, denn in Mitten der tobenden Schlacht steht ruhig und überlegen Apollon, der Gott, der sich bereits für den Sieger entschieden hat. Zu seiner Linken und Rechten stehen die „Superhelden“ Theseus und Peirithoos, die den Kampf gegen die Kentauren aufnehmen. Zur Linken Peirithoos‘ versucht Eurytion gerade Hippodameia zu entführen. Kentauren zerren an lapithischen Frauen bzw. versuchen einen Jüngling zu verführen. Während lapithische Männer die Kentauren attackieren, beobachten von den Seiten des Frieses verängstigte Frauen die Schlacht.

This is the extraordinary moment when all the ranks of life retain untouched their very being. In this moment frozen in marble all the elements exist together: godly firmness, the discipline of free mankind, the outburst of the beast, the realistic presence of the slave.“

(Nikos Kazanzakis in: Vikatou, Olympia, 92)

Die „Kentauromachie“, der Kampf der Kentauren gegen die Menschen, wird fortan ein beliebtes Motiv der bildenden Künste. Von der Antike bis zu Michelangelo wird das Thema immer wieder aufgegriffen. Die Darstellungen stehen im philosophischen Sinne nicht nur einfach für den Kampf der Menschen gegen die wilden Tiere, sondern auch für den Kampf des Intellekts gegen die Triebhaftigkeit, gegen das Tier im Menschen.

Webpages:

Literatur:

  • Hennemeyer, Arnd : Der Zeustempel von Olympia. In: Wolf-Dieter Heilmeyer u.a. (Hrsg.): Mythos Olympia. Kult und Spiele in der Antike. Prestel, München 2012, S. 121–125.
  • Homer, Odyssee, 21. Gesang. Siehe auch: http://www.gottwein.de
  • Muth, Susanne, Der Kampfe gegen die Kentauren: Die Faszination der Bedrohlichkeit, in: Gewalt im Bild. Das Phänomen der medialen Gewalt im Athen des 6. und 5. Jh. v. Chr., Berlin 2008, 413ff. Siehe auch: https://books.google.at
  • Ovid, Metamorphosen, 12. Buch. Siehe auch: http://www.gottwein.de/
  • Pausanias, Beschreibung von Griechenland, Bände 1-3 ed. Johann Heinrich Christian Schubart, Stuttgart 1857. Siehe auch: https://books.google.de/books
  • Schwab, Gustav, Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums, nach seinen Dichtern und Erzählern, 8. Aufl, 1870, Bd. 5, 223. Siehe auch:  https://books.google.at/
  • Vikatou, Olympia, Olympia – The Archaeological Site and the Museums, Athen 2006.