Viele Städte sind von einem antiken oder modernen Mythos umgeben. In Sorrent kann man hingegen gleich aus mehreren Mythen verschiedener Epochen wählen.

1. Gesang: Sirenen

Erstlich erreichet dein Schiff die Sirenen; diese bezaubern
Alle sterblichen Menschen, wer ihre Wohnung berühret.
Welcher mit törichtem Herzen hinanfährt, und der Sirenen
Stimme lauscht, dem wird zu Hause nimmer die Gattin
Und unmündige Kinder mit freudigem Gruße begegnen;
(Homer, Odyssee – Kapitel 32, Zwölfter Gesang)

„Surrient“ wird die Stadt noch heute in Kampanien genannt. Im Gegensatz zum italienischen „Sorrento“ erinnert ihr Dialektname noch heute an den antiken Namen  „Surrentum“, den Ort wo dem Mythos nach die Sirenen wohnten.  Malerisch auf einer gewaltigen Tufsteinterrasse südlich von Neapel gelegen, zieht die Stadt den vom Meer kommenden Reisenden sofort in ihren Bann. Hier soll Odysseus mit seinen Schiffen vorbeigekommen und dem wunderschönen Gesang der todbringenden Sirenen erlegen sein. Doch der Held war gewarnt und trug seiner Mannschaft auf, sich die Ohren zu verkleben und ihn am Schiffsmast festzubinden. Durch diese List konnte Odysseus den verheißungsvollen Liedern der Sirenen lauschen, ohne seine Gefolgsleute in den Tod zu führen.

Interludium: Kurzgeschichte

Denn es bezaubert ihn der helle Gesang der Sirenen,
Die auf der Wiese sitzen, von aufgehäuftem Gebeine
Modernder Menschen umringt und ausgetrockneten Häuten.
Aber du steure vorbei, und verkleibe die Ohren der Freunde
Mit dem geschmolzenen Wachse der Honigscheiben, daß niemand von den andern sie höre. (Forts. Homer, Odyssee)

Die Geschichte Sorrents geht bis ins 6. Jh. v. Chr. zurück. In ihren ersten Jahrhunderten wird die Stadt von den Griechen geprägt, die im Süden Italiens blühende Kolonien errichtet hatten. Der griechische Einfluss dauerte bis in die Zeit der  römischen Republik an. Direkt am Meer gelegen, war der Siedlungsplatz durch eine zum Meer steil abfallende Tuffsteinterrasse und natürliche Schluchten auf natürliche Art und Weise hervorragend gegen Angriffe geschützt. Griechen und Römer errichteten an den ungeschützten Stellen im Süden eine erste Stadtmauer.

Ausblick von den Tuffsteinterrassen Sorrents Richtung Vesuv

Sorrent und sein berühmtes Panorama

Nach dem Ende des Römischen Reiches wechselte die Stadt mehrfach den Besitzer – von den Langobarden bis zu den Ostgoten reicht die lange Liste der Herrscher. Auf eine Phase der Selbstbestimmung folgte im 12. Jahrhundert schließlich die Eroberung durch die Normannen, wodurch die Stadt Teil des Königreiches von Neapel (Königreich Sizilien) wurde. Sorrent blieb Teil dieses Königreichs bis zu dessen Untergang 1860, als es von Garibaldi dem neuen italienischen Staat eingegliedert wurde.

2. Gesang: Sehnsucht

Vide ’o mare quant’è bello,
spira tanto sentimento,
Comme tu a chi tiene mente,
Ca scetato ’o faje sunnà.

Sieh das Meer, wie schön es ist,
Es weckt tiefste Emotionen
An wen du auch gerade denkst
Im Wachen lässt du ihn träumen

Ausblick von den Tuffsteinterrassen Sorrents Richtung Vesuv

Ausblick von den Tuffsteinterrassen Sorrents Richtung Vesuv

Bereits zur Römerzeit wurde Sorrentum aufgrund seiner schönen Lage zu einem bevorzugten Sommersitz der politischen und wirtschaftlichen Elite des Landes. Bis heute hat die Stadt mit dem unvergleichlichen Ausblick aufs Meer nichts von dieser Faszination verloren. Die halbe Welt tummelt sich in den Straßen Sorrents. Dementsprechend schick sind Lokale und Geschäfte und dementsprechend hoch das Preisniveau. Amerikaner, Briten und Franzosen nutzen Sorrent als idealen Ausgangspunkt zu den Sehnsuchtsorten der Region – Amalfi, Positano, Capri, Ischia, Neapel oder Pompeji.

Die Sehnsucht nach der Schönheit von Sorrent machten Ernesto de Curtis und Giambattista de Curtis um 1900 in ihrem sentimentalen Lied „Torna a Surriento“ („Kehr zurück nach Sorrent“) zum zentralen Thema:

Ma nun me lassà,
Nun darme sto turmiento!
Torna a Surriento,
famme campà!

Lass mich nicht zurück,
Füg mir diesen Schmerz nicht zu!
Kehr zurück nach Sorrent,
Lass mich nicht so mein Leben fristen!

Das Lied – gesungen im typischen Dialekt Kampaniens – trat einen Siegeszug sondergleichen an. Von Enrico Caruso bis Mario Lanza und Luciano Pavarotti wurde Torna a Surriento gesungen und trug den Ruf der Stadt mit dem unvergleichlichem Ausblick auf das Meer in die Welt hinaus. Sogar Elvis Presley lieferte mit „Surrender“ seine eigene Version des Welthits.

3. Gesang: Inferno

Lasciate perdere ogni speranza voi che entrate

Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!

(Dante, Göttliche Komödie, Inferno III, 9)

Benedetto Robazza - Dantes Inferno

Benedetto Robazza: Dantes Inferno

Mitten im Zentrum des heutigen Sorrents, direkt an der Piazza Tasso, öffnen sich tiefe Schluchten, die beinahe wie Eingänge zur Hölle wirken. Vielleicht diente diese geologische Besonderheit Sorrents den Organisatoren der Ausstellung Inferno von Dante im Paradies von Sorrent („L’Inferno di Dante nel Paradiso di Sorrento“) als Inspiration. Im Sommer 2015 wurden im Garten der Villa Comunale die Gesänge aus dem ersten Teil von Dante Alighieris Göttlicher Komödie auf 2×2,5m großen Marmortafeln, geschaffen vom italienischen Künstler Benedetto Robazza, gezeigt.

Szene für Szene folgt der Betrachter Dante in die verschiedenen Kreise der Hölle, wie sie in dessen Meisterwerk der italienischen Literatur aus dem 14. Jahrhundert beschrieben wurden. Hier weilen die Sünder, die für ihre Taten zu immerwährender Buße verdammt sind (siehe Bildergalerie).

4. Gesang: Meer

Vide ’o mare de Surriento
che tesoro tene ’nfunno:
chi ha girato tutto ’o munno
nun l’ha visto comm’a ccà.

Sieh das Meer von Sorrent
Welchen Schatz es in der Tiefe birgt
Auch wer die ganze Welt umfahren
Das Meer nirgendwo schöner gesehen hat.

 

Literatur und Webpages:

 

Videos:

  • Zum Vergleich: Elvis Presley, Surrender und Mario Lanza, Torna a Surriento