Southern trees bear strange fruit,
Blood on the leaves and blood at the root,
Black bodies swinging in the southern breeze,
Strange fruit hanging from the poplar trees.

Die Bäume der Südstaaten tragen merkwürdige Früchte,
Blut auf den Blättern und Blut auf den Wurzeln,
Schwarze Körper baumeln im Südstaaten-Wind,
seltsame Früchte hängen von den Pappeln.

Ein neckisches Trompetenintro, gefolgt von einer ruhigen Klavierüberleitung: Der Eindruck, dass etwas nicht stimmt, überkommt mich erst, als der langsame, klagende Gesang einsetzt. Getragen von einer traurigen Melodie des Orchesters, beginnt Billie Holiday ihre Einleitung zu Strange Fruit. Als sich mir der Sinn der Wörter allmählich erschließt, läuft mir eine Schauer über den Rücken.

Der Nachmittag sollte eigentlich dazu dienen einigen Klassikern der Musikgeschichte zu lauschen, doch irgendwo zwischen „On the sunny side of the street“ und „I’ll get by as long as I have you“ ist dieses bitterböse Lied, welches die Idylle des Nachmittags stört. Erst einige Tage später weicht nach kurzer Recherche die Unwissenheit: Strange Fruit, das Lied, welches in amerikanischen Zeitschriften und Musikdokumentationen als Meilenstein der Musikgeschichte bezeichnet wird, ist mir bislang völlig entgangen.

Die Bäume der Südstaaten…

Es war nicht nur ein Stück Musikgeschichte, sondern eine sozialpolitische Revolution als Billie Holiday 1939 ein Lied des jüdischen Lehrers Abel Meeropol zum ersten Mal im New Yorker Café Society sang. Eine Schwarze nahm sich in Zeiten der Apartheid die Frechheit heraus, eine bittere Anklage gegen die in den Südstaaten gängige Lynchjustiz vorzutragen. Das Lied, welches zuvor nur beschränkten Erfolg in linken intellektuellen Kreisen hatte, wurde plötzlich zur Hymne der afroamerikanischen Bevölkerung im Kampf für die Gleichberechtigung. Dabei hatte Billie Holiday anfangs noch aus Angst vor dem Publikum gezögert, das Lied vorzutragen:

I was scared people would hate it. The first time I sang it I thought it was a mistake and I had been right being scared. There wasn’t even a patter of applause when I finished. Then a lone person began to clap nervously. Then suddenly everyone was clapping.

(Holiday, Lady Sings, 94f)

Von Konzert zu Konzert wurde Strange Fruit nun populärer. Ihr Plattenlabel Columbia verweigerte Holiday die Aufnahme des Songs. Erst die legendären Commodore Records erklärten sich bereit, das Lied zu publizieren. Das Time Magazine bezeichnete 1939 den Song noch als Propagandawerk, denn das Lied wurde von vielen Seiten als Gefahr für den sozialen Frieden eingeschätzt. So begann das FBI nach den ersten Aufführungen eine Akte über Billie Holiday anzulegen.  Trotzdem oder vielleicht gerade auch deswegen wurde Strange Fruit zu einem der größten musikalischen Erfolge Billie Holidays. Das Lied wird von ihr minutiös inszeniert und stellt ein absolutes Highlight ihrer Konzerte dar (Wikipedia, Strange Fruit; Dorian, Strange Fruit).

Billie Holiday at the Downbeat club, von William P. Gottlieb

Billie Holiday at the Downbeat club, von William P. Gottlieb [Public domain], via Wikimedia Commons.

Bald nach den ersten Aufführungen begann eine vermutlich rassistisch motivierte, beinahe lückenlose Überwachung von Billie Holiday durch das Federal Bureau of Narcotics. Der Alkohol- und Drogenkonsum der Sängerin diente den Ermittlern als willkommenes Druckmittel, um die kritische Stimme mundtot zu machen. Während das Federal Bureau of Narcotics bei anderen Stars durchaus großzügig über Alkohol- und Drogenkonsum hinwegsah, wurde jeder Schritt von Holiday gnadenlos überwacht. 1947 kam es schließlich zur Anklage gegen Billie Holiday und sie wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Ihr Anwalt hatte kein Interesse vor Gericht zu erscheinen und so schrieb sie später in ihren Memoiren (Hari, Hunting Holiday):

It was called „The United States of America versus Billie Holiday.“ And that’s just the way it felt.

(Holiday, Lady Sings, 146)

Der Duft der Magnolien…

Pastoral scene of the gallant south,
The bulging eyes and the twisted mouth,
Scent of magnolias, sweet and fresh,
Then the sudden smell of burning flesh.

Pastorale Szene im ritterlichen Süden,
hervorquellende Augen und verdrehter Mund,
der Duft der Magnolien, süß und frisch,
plötzlich der Geruch von brennendem Fleisch.

Abel Meeropol (alias Lewis Allen) hatte Strange Fruit unter dem Eindruck der Lynchmorde an Thomas Shipp und Abram Smith geschrieben. Beschuldigt des Diebstahls, Mordes und Vergewaltigung wurden beide Männer von einer wütenden Menge aus dem Gefängnis gezerrt, verprügelt und gehängt.  Nachdem der Lynchmob noch für Fotos mit den Erhängten posiert hatte, versuchte er auch den 16 jährigen James Cameron, welcher nur wegen gewöhnlichen Diebstahls im Gefängnis saß, zu ermorden:

After 15 or 20 minutes of having their pictures taken and everything, they came back to get me… Then they began to yell for me like a favorite basketball or football player. They said: ‚We want Cameron, we want Cameron, we want Cameron.‘ And I looked over to the faces of the people as they were beating me along the way to the tree. I was pleading for some kind of mercy, looking for a kind face. But I could find none. They got me up to the tree and they got a rope and they put it around my neck… That’s when some people say a local Marion citizen stood on the hood of his car and shouted, „He’s innocent, he didn’t do it.“

(Cameron, Interview NPR)

Billie at the Club Bali, von Ralph F. Seghers

Billie at the Club Bali, von Ralph F. Seghers, via Wikimedia Commons.

Cameron hatte großes Glück und entkam der Lynchjustiz in Marion Indiana. Der Mord an Thomas Shipp und Abram Smith ist nur eines der vielen Beispiele für eine Zeit in der Lynchmorde Gang und Gäbe waren. Nach eigenen Worten konnte Abel Meeropol ein Bild der erhängten Afroamerikaner tagelang nicht aus seinem Kopf verdrängen. Über 4700 Personen fielen in den Vereinigten Staaten von 1882 bis 1968 Lynchmorden zum Opfer. Rund 70% der Personen waren Afroamerikaner. Schon geringste Anlässe konnten zu unglaublich grausamen Taten führen. Noch 1955 wurde der 14 jährige Emmett Till aufgrund einer anzüglichen Bemerkung gegenüber einer weißen Frau von deren Mann und zahlreichen weiteren Beteiligten auf das Grausamste gefoltert und ermordet (Blair, Man behind Strange Fruit; Langer, Willie Reed).

Es ist heutzutage schwer nachvollziehbar, wie viel Mut man 1939 aufbringen musste, um gegen dieses System der Lynchjustiz aufzubegehren. Umso mehr bleibt Strange Fruit ein eindrucksvolles  Beispiel für Zivilcourage und die Macht der Musik. 1999 wählte das Time Magazine Strange Fruit zum „Song of the Century“.

Seltsame Früchte…

Der Text von Strange Fruit weist eine starke Symbolik auf.
Southern: Das Wort steht im Lied generell für die Südstaaten. Im Südosten der Vereinigten Staaten fand die Mehrzahl der rassistisch motivierten Gewalttaten statt.
Magnolie: Symbol des Staates Mississippi.
Pappel: Symbol des Staates Tennessee, dem Gründungsstaat des Ku-Klux-Klans.
Das Lied Strange Fruit liegt in zahlreichen Versionen diverser Interpreten vor. Eine schöne Zusammenfassung findet sich auf der Website der National Public Radio Senderfamilie. Dieser Artikel bezieht sich auf: Strange Fruit,  Billie Holiday – the Commodore Master Takes:  Version dieser Aufnahme (Achtung, inkl. originaler Bilder des Verbrechens von Marion)

 

 Literatur:

  • Greene, Meg, Billie Holiday: A Biography, Westport 2007.
  • Hari, Johann, Chasing the Scream: The First and Last Days of the War on Drugs, Bloomsbury Circus 2015. Auszüge daraus auf Politico, The Hunting of Billie Holiday: http://www.politico.com/magazine
  • Holiday, Billie, Dufty, William, Lady Sings the Blues the 50th Anniversary Edition, Peguin Books, London 2006.
  • Margolick, David, Strange Fruit – Billie Holiday, Café Society, and an Early Cry for Civil Rights, Canongate 2002. Auszüge daraus auf:  https://www.nytimes.com/books

Bilder:

  •  Titelbild: Billie at the Club Bali, von Ralph F. Seghers c/o Ken Seghers (scan0008)
[CC BY-SA 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons. https://commons.wikimedia.org/wiki
  • Bild im Fließtext: Billie Holiday at the Downbeat club, von William P. Gottlieb [Public domain], via Wikimedia Commons. https://commons.wikimedia.org/wiki
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