Der olympische Taxifahrer

5 Uhr früh, ein lauer Septembermorgen auf Zakynthos. Der Mond scheint hell über dem Meer und der Hahn neben dem Hotel hat soeben begonnen zu krähen. Die Idylle der Nachsaison wird plötzlich von quietschenden Reifen eines Taxis zerrissen. Der gut gelaunte Taxifahrer öffnet das Seitenfenster und ruft uns entgegen:

Good Morning! I’m your Taxi driver! Usually from here to Zakynthos town it takes 15 minutes… but I’ll bring you there in 5!

Das Palästra von Olympia

Das Palästra von Olympia

Am Plan steht ein Ausflug auf das Festland zu den Ausgrabungen in Olympia. Der Taxifahrer rast die steile Küstenstraße bei Vassilikos mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit Richtung Zakynthos Stadt, während er gestikulierend erzählt, dass er heute Nacht besonders viel Kaffee getrunken habe. Mehrmals wechselt er dabei auf die andere Straßenseite, was empörtes Hupen der wenigen entgegenkommenden Fahrzeuge auslöst. Die Fahrzeuginsassen klammern sich verzweifelt an ihren Sitzen fest.

Taxifahrer: We need to hurry!
Why? When does the ferry leave?
Taxifahrer: I have no idea!

Der Taxifahrer bricht in schallendes Gelächter aus und tritt das Gaspedal durch…

Vier Stunden später – nach einer vergleichsweise unspektakulären Überfahrt mit der Fähre – kommen wir schließlich in Olympia an. Das antike Heiligtum liegt auf der peloponnesischen Halbinsel in der Region Elis inmitten einer pittoresken Hügellandschaft. Es ist der perfekt Ort, um den Göttern für überlebte Taxifahrten zu danken.

Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist (Tante Jolesch)

Nike des Paionios

Die Nike des Paionios

Das große „Glück“ begann für Olympia mit zwei Erdbeben im 6. Jh. n. Chr., welche Olympia weitgehend dem Erdboden gleich machten. In den folgenden Jahrzehnten begruben massive Überschwemmungen das einstige Heiligtum des Zeus unter einer meterhohen Schlammschicht. Diese Abfolge an Katastrophen schützte Olympia jedoch vor weiteren Zerstörungen, da die Reste eingepackt im Schlamm die Jahrhunderte überdauerten und so präsentierte sich der Ort den Archäologen des 19. Jahrhunderts als wahre Schatzkammer. Zwar waren viele Tempel und Gebäude komplett eingestürzt, doch unter ihren Trümmern konnten zahlreiche herausragende Skulpturen und Fresken gefunden werden.

Hermes des Praxiteles

Der Hermes des Praxiteles

Die Fundliste der Ausgrabungen liest sich wie das „Who is Who“ der Kunst des Altertums.  Ein absolutes Highlight im Museum von Olympia sind etwa die extrem lebendigen und dynamischen Friese vom Tympanon des Zeustempels. In unmittelbarer Nähe dieses gewaltigen Tempel stieß man auf das nächste Meisterwerk – die Nike des Paionios (ca. 420 v. Chr.). Die Statue vermittelt den Eindruck, als ob sie gerade vom Himmel herabsteigen würde. Überhaupt eine der bedeutendsten Statuen der griechischen Klassik ist der im Heratempel aufgefundene Hermes des Künstlers Praxiteles (ca. 340 v. Chr.). Auf dem Arm trägt er den kleinen Dionysos, der gebannt zu ihm aufblickt, während ihn Hermes mit Weintrauben lockt, die er vermutlich in der fehlenden rechten Hand hielt.

Wichtige Hinweise zur Lokalisierung und Identifizierung der Skulpturen von Olympia lieferte den Archäologen der griechische Reiseschriftsteller und Geograph Pausanias, welcher im 2. Jh. n. Chr. Griechenland bereiste und penible Aufzeichnungen aller Sehenswürdigkeiten anfertigte. Als die Archäologen im Tempel der Hera auf oben genannte Hermesstatue stießen, konnten sie diese anhand seiner Notizen schnell identifizieren:

„…zu einem späteren Zeitpunkt wurden andere Bildnisse dem Tempel der Hera gewidmet, darunter einen Hermes aus Marmor, der einen Baby-Dionysos trägt, ein Werk des Praxiteles.

(Pausanias, 5.17.3)

Das verschwunde Weltwunder

Der Zeus des Phidias

Der Zeus des Phidias

Von Pausanias wissen wir auch, dass Phidias (5. Jh. v. Chr), einer der berühmtesten Bildhauer der Antike, in Olympia tätig war. Bei Grabungsarbeiten wurde seine Werkstatt unter einer byzantinischen Kirche entdeckt. Hier erschufen er und seine Arbeiter eines der sieben Weltwunder der Antike, den 12m hohen Zeus von Olympia. Mit Hilfe der Chryselephantintechnik wurde ein Gerüst aus Eisen, Gips und Holz mit Goldblech, Elfenbein, Edelsteinen und gegossenem Glas überzogen. Zeus soll nach der Fertigstellung der Statue so zufrieden gewesen sein, dass er dies Phidias mit Hilfe eines Blitzes mitgeteilt hat (Pausanias, 5.11.9). Die Statue scheint gigantisch bzw. richtiggehend überproportional für den Tempel gewesen zu sein. Der griechische Geschichtsschreiber und Geograph Strabo (1 Jh. v. Chr. – 2. Jh. n. Chr) beschreibt sie folgendermaßen:

But the greatest of these was the image of Zeus made by Pheidias of Athens, son of Charmides; it was made of ivory, so big that, although the temple was very large, the artist is thought to have missed the proper symmetry, for he showed Zeus seated but almost touching the roof with his head, thus you would think that if Zeus arose and stood erect he would bust up the temple’s roof.

(Strabo 8.3.30)

Seit dem 5. Jh. n. Chr. gilt das Kunstwerk als verschollen. In der Werkstatt des Phidias wurden jedoch Glasmatritzen und andere Materialien gefunden, die für die Arbeiten am gewaltigen Zeus von Olympia verwendet worden sein dürften. Das Weltwunder war jedenfalls eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Antike. Erstmalig Erwähnung findet er im Bericht des Antipater von Sidon, der allerdings in erster Linie vom Tempel der Artemis in Ephesos angetan war:

Tonmodel aus der Werkstatt des Phidias

Tonmodel aus der Werkstatt des Phidias

I have set eyes on the wall of lofty Babylon on which is a road for chariots, and the statue of Zeus by the Alpheus, and the hanging gardens, and the colossus of the Sun, and the huge labour of the high pyramids, and the vast tomb of Mausolos; but when I saw the house of Artemis that mounted to the clouds, those other marvels lost their brilliancy, and I said, “Lo, apart from Olympus, the Sun never looked on aught so grand.”

(Antipater, Greek Anthology, 9.58)

Auch ein gewisser Philon von Byzanz des 4. bzw. 5. Jh. n. Chr. (nicht zu verwechseln mit Philon dem Erfinder und Konstrukteur des 2. bzw. 3 Jh. v. Chr.) hebt die Bedeutung der Statue unter den sieben Weltwundern hervor. Auch er erwähnt Phidias als ihren Schöpfer und, dass das Bildnis des Zeus nicht nur (wie die anderen Weltwunder) bewundernswert sondern auch heilig sei:

Jovi in coelo quidem Saturnus, in Elide Phidias pater est….Et cetera quidem ex septem miraculis admiratione, solum autem hoc et veneratione prosequimur. Nam quatenus artis opus, admirabile est, quatenus Jovis simulacrum, sacrosanctum. Quapropter labor quidem laudem habet, immortalita vero cultum.

(Philon von Byzanz, de septem mundi miraculis 3, S. 15f))

Es fällt einem schwer, das idyllisch gelegene Olympia zu verlassen. Auf der Fähre zurück nach Zakynthos brauen sich dunkle Gewitterwolken über dem Meer zusammen, die das nahe Ende des Sommers ankündigen. Der letzte Urlaubstag neigt sich dem Ende zu und so bleibt einem nur mehr die Hoffnung auf den nächsten Sommer und das Zeus für ein weiteres Wunder sorgen möge… einen entspannten Taxifahrer.

Olympia im Überblick

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Heratempel (rechts) mit Philippeion im Hintergrund

Erste Siedlungsspuren finden sich in Olympia bereit im Neolithikum. Ab der helladischen Periode (frühe Bronzezeit ab 3000 v. Chr.) können Grabhügel und Keramikfunde nachgewiesen werden. Eine erste stärkere Bautätigkeit mit rechteckigen und apsidenförmigen Häusern dürfte um 2000 v. Chr. eingesetzt haben. In den folgenden Jahrhunderten veränderte sich Olympia langsam von einer zivilen Siedlung in ein unbesiedeltes Heiligtum in dessen Zentrum der Kult rund um den Göttervater Zeus stand. Vor allem in klassischer und hellenistischer Zeit (5. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr.) wurden das Heiligtum massiv erweitert: Gewaltige Tempel zu Ehren der Hera, des Zeus, Schatzhäuser und Badeanlagen wurden errichtet. Rund um das Heiligtum wurden Palästren, Gymnasia und große Gästehäuser für wohlhabende Besucher (z.B.: Leonidaion) errichtet.

Erste eindeutige Hinweise auf Wettkämpfe in Olympia finden sich in den Siegerlisten, welche bis ins Jahr 776 v. Chr. zurückreichen. Während die Spiele anfangs einen stark religiösen Charakter aufwiesen, trat im Laufe der Jahrhunderte die sportliche Bedeutung in den Vordergrund. Über viele Jahrhunderte maßen sich die Athleten im Laufen, Stockfechten, Boxen, Ringen, Pankration (eine Mischung aus Boxen und Ringen) und anderen Sportarten. 5 Tage lange dauerten die Spiele, welche bis zum Verbot durch Theodosius I. im Jahr 393 n. Chr. durchgehend abgehalten wurden.  426/427 n. Chr. wurde das Heiligtum schließlich auf Befehl von Theodosius II. niedergebrannt (Vikatou, Olympia, 10-17).

 

Literatur:

  • Antipater von Sidon, The Greek Anthology, übersetzt v. Paton, W. R. (William Roger), Bd. 3, New York/London 1916-1918: https://archive.org
  • Ashley, Michael,  The Seven Wonders of the World, Glasgow 1980.
  • Clayton, Peter, Price Martin, The Seven Wonders of the Ancient World, New York 1990.
  • Mallwitz, Alfred, Schiering, Wolfgang, Die Werkstatt des Pheidias in Olympia, in: Olympische Forschungen Bd. 5, Berlin 1964.
  • Hennemeyer, Arnd: Der Zeustempel von Olympia. In: Wolf-Dieter Heilmeyer u.a. (Hrsg.): Mythos Olympia. Kult und Spiele in der Antike. Prestel, München 2012, S. 121–125.
  • Lochman, Tomas, Hermes mit dem Dionysoskind, Flyer, Skulptur des Monats Januar 2013, Skulpturhalle Basel.
  • Pausanias, Pausanias Description of Greece with an English Translation by W.H.S. Jones, Litt.D., and H.A. Ormerod, M.A., 4 Bände, Cambridge, MA, Harvard University Press; London, William Heinemann Ltd. 1918. Siehe auch: Perseus Digital Library: http://www.perseus.tufts.edu
  • Philon von Byzanz, de septem mundi miraculis 3, in: Philo (Byzantius) Libellus de septem Orbis spectaculis, graece cum versione latina duplice, ed. Orelli, Johann Konrad von, Lipsia 1816, S. 15-. Siehe auch: Bayerische Staatsbibliothek digital: http://reader.digitale-sammlungen.de
  • Sinn, Ulrich, Das antike Olympia: Götter, Spiel und Kunst, München 2004. Siehe auch: https://books.google.at
  • Strabo, Geographie, ed, H.C. Hamilton, Esq., W. Falconer, M.A., London 1903. Siehe auch: Perseus Digital Library: http://www.perseus.tufts.edu
  • Vikatou, Olympia, Olympia – The Archaeological Site and the Museums, Athen 2006.

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